Schülerwitze

Witze fungieren schon seit Jahrtausenden auch als soziales Ventil. Jede Herrschaftsform bildet Strukturen und Normen aus, um sich selbst zu erhalten - dem Allgemeinwohl nutzt sie immer nur so weit, wie es der eigene Vorteil zulässt. Trotzdem erheben die Herrschenden immer den Anspruch, dass gerade ihr System das beste aller möglichen ist. Aus der Verbindung mit einer höheren Macht oder einer Ideologie wird sogar der Anspruch auf Unfehlbarkeit abgeleitet. Beides steht oft genug im Widerspruch zu den realen Gegebenheiten, aber die herrschende Meinung darf nicht ungestraft angegriffen werden. Die Kommunikationsebene des Witzes jedoch hat genügend Spielraum, um die Widersprüche in eine diffuse Beziehung zu bringen und so gekonnt zu überhöhen, dass die Aussagen nicht als "Wahrheit" definiert werden. Noch bessere Chancen, mit einem politischen Witz ungeschoren davon zu kommen, hat die Variante, die Aussage an nebensächliche Themen oder an Typen zu binden, die traditionell keine bedeutende Rolle in der Gesellschaft spielen. Dann hat der Witzeerzähler nicht nur den Vorteil der unterschiedlichen Relation in der Wahrnehmung des Problems, sondern auch einen Transmitter, der für beide Seiten als lächerliche Figur definiert ist. Seit Jahrhunderten sind deshalb Schülerwitze so beliebt.


Schülerwitze

Lehrer und Schüler als Ausdruck der Herrschaftsverhältnisse

Die klassische Figur für diese Witzform ist der "dumme August", ein chaotischer Typ mit eingeschränkter Wahrnehmungsweise, der durch seine destruktive Handlungsweise als Negativbeispiel gilt. Die Menschen erfreuen sich an dieser Figur, weil sie in diese Karikatur menschlichen Handelns eigene Züge entdecken, aber nach eigener Einschätzung über ihr stehen. Manchmal ist die Freude jedoch auch besonders groß, wenn dem anscheinend dummen Wesen in seinen lichten Momenten die Umkehrung der Verhältnisse gelingt, und zwar immer dann, wenn es auf einen höher gestellten Kontrahenten trifft. Unzählige Komikerduos haben diese Konstellation für ihren Erfolg genutzt. Als durchgehendes Prinzip ist sie in Schülerwitzen angelegt. Der intellektuell hoffnungslos unterlegene Schüler kann den weit überlegenen Lehrer auskontern - eine beglückende Vision für jeden, der sich unterlegen fühlt, und das ist in Herrschaftssystemen immer die übergroße Mehrheit.

Erfahrungen als Gestaltungsmittel

Der Lehrer vertritt das Establishment, der Schüler kann nur punktuell Siege landen - die gesellschafltliche Situation ist damit in Schülerwitzen perfekt abgebildet. Dazu kommt, dass alle Eltern im Entwicklungsprozess ihrer Kinder schon oft Situationen kennen gelernt haben, wo die bewährte Logik an der Sichtweise des Kindes scheitert. Der Erwachsene wird deshalb nicht sein Weltbild ändern, aber ein freundliches Erstaunen über die intellektuelle Leistung des Kindes bleibt nicht aus. Im Kleinen reagieren Menschen genau so wie das Herrschaftssystem auf seine "närrischen" Untertanen im Großen - amüsiert, aber nicht rachsüchtig. Ein guter Witz ist zudem in jeder Gesellschaftsklasse beliebt. Nicht umsonst wurden früher Hofnarren gehalten und auch in der modernen Gesellschaft sind sie beileibe nicht ausgestorben. Das soziale Ventil ist auch in einer pluralistischen Gesellschaft immer noch vonnöten. Die traditionelle Form des Schülerwitzes hat sich erhalten, weil sie grundlegende Erfahrungen verarbeitet und die Umkehrung der Machtverhältnisse glaubhaft machen kann. "Kindermund tut Wahrheit kund". Das Gespann Lehrer - Schüler ist jedoch so weit von den gesellschaftlichen Kernprozessen entfernt und so sehr auf enge Themen spezialisiert, dass Schülerwitze kaum in gesellschaftlichen Zusammenhängen gesehen werden.

Warum sind gerade Lehrer Zielscheibe des Spotts der Gesellschaft?

Lehrer machen sich nicht nur durch überzogenes Verhalten lächerlich, sondern haben generell einen schweren Stand in der Gesellschaft. Um sich Respekt und Anerkennung zu verschaffen, müssen sie nicht nur über Können und hohe moralische Qualitäten verfügen, sondern auch noch gegen die Vorbehalte bezüglich ihres Berufsstandes ankämpfen. Immerhin sind sie nicht mehr finanziell abhängig wie das arme Dorfschulmeisterlein, dass nebenbei noch seinen Acker bewirtschaften und mit den Bauern gute Beziehungen pflegen musste. Aber auch der modernen Gesellschaft ist es noch nicht gelungen, die Machtlosigkeit der Lehrer zu beenden. Sie füllen traditionell eine Feigenblatt-Funktion aus, die zwischen dem Anspruch einer Gesellschaft und einer Realität vermitteln muss, die in vielen Punkten nicht dem Leitbild entspricht. So traurig, wie das bei der Bedeutung der Erziehung von Kindern ist, so komisch wirkt dieser Zustand in die Schülerwitze hinein. Ein großer Teil der Komik entsteht dadurch, dass der Lehrer dem Schüler einen Mißstand irgendwie schmackhaft machen möchte, und mit der Beschreibung der Alternativen nur noch um so tiefer in den Widerspruch gerät, der dann durch die kindliche Pointe aufgedeckt wird. Der Lehrer, der nur auf der Basis von Überzeugungen arbeiten kann, hat keine Chance in der Argumentation, wenn die wahren Verhältnisse abgeglichen werden.

Stilblüten - eine besondere Gattung

Klein Fritzchen äußert nicht nur schlagende Erkenntnisse, er macht auch Fehler. Auf dieser Ebene sorgt der Erfahrungsschatz von -zig Schülergenerationen ebenfalls ständig für Zuwachs bei den Schülerwitzen. Diese sind dann zwar der klassischen Frage-Antwort-Struktur beraubt, sorgen aber nichtsdestotrotz in allen Kreisen für Heiterkeit. Diese so genannten Stilblüten - die einzigen witzigen Konstrukte, die Schüler selbst erfinden, und das auch noch unfreiwillig - sind faktisch "verkehrte" Zitate. Nicht der Sinn des Lebens wird dadurch deutlich, sondern die Risiken einer mangelhaften Bildung. Deswegen sind die Verfasser auch alle durchweg "unbekannt". Was ein missverstandenes Fremdwort, ein falscher grammatikalischer Zusammenhang oder ein vertauschter Buchstabe im Sinnzusammenhang anrichten können, ist oft von so haarsträubenden Unsinn, dass man nur darüber lachen kann. Immerhin sammeln Schüler in Abschluss- und Abizeitungen ihre größten Fehltritte selber, während man das von Lehrern nicht behaupten kann. Ihnen verdankt die Menschheit eher die Überlieferung der Schülerfehler.

Lehrersprüche und ihre Wirkung

Natürlich ist der Humor auch unter Lehrern weit verbreitet und viele ihrer Sprüche, mit denen sie Schüler leiten, werden von diesen auch als echt cool empfunden. Aber Vieles gerät auch zum unfreiwilligen "running gag", denn nicht jeder Mensch ist kommunikativ so begabt, dass er die Wirkung seiner Kommunikationsgebaren richtig einschätzen kann. Zwar müssten gerade Lehrer wissen, dass nicht nur "Was wir sagen" sondern auch "Wie wir es sagen" die Kommunikation erheblich beeinflusst, aber im Bemühen um eine zügige Entwicklung des Lehrstoffs und die geschäftsmäßige Abwicklung der Schulstunde schleichen sich Gesten, Sprachbilder und Formulierungen ein, die von den Schüler schon heiß erwartet werden, um sich köstlich darüber zu amüsieren. Die Ablenkung durch solche Konstellationen ist erheblich; die Schülern warten auf den Gag und nicht auf die Information im Unterricht. Schülerwitz steckt eben auch in der Situation.

Sprüche - Das Buch
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