Anglerwitze

Was am Angler witzig sein soll, erschließt sich einem nicht sofort. Viele Menschen sehen den Angelfreund als langweilig an. Er sitzt stundenlang am Fluss oder der Meereskante und wirft den Haken aus. Ein Urlaubsort ist nur dann gut, wenn man die Angel mitnehmen kann. Möglicherweise würde ein Angler zuerst das Angelzeug retten, wenn das Haus brennt.


Anglerwitze


Eigenschaften der Angler

Dass Angler gerne bei der Beschreibung der Größe des gefangenen Fisches übertreiben, ist bekannt. Was ist daran witzig? Anglerlatein gehört in die Sparte der Übertreibung, der Witz aber ist ein anderes Genre. Er ist eine Erzählform, in der eine absurde Wendung die Pointe ausmacht. Da kann es beispielsweise um Fragen von Passanten gehen, ob denn die Fische beißen. Lakonische Antwort: "Nein, man kann sie streicheln." Eine an sich normale Frage wird so beantwortet, dass man auf die mangelnde Intelligenz des Anglers schließen kann - oder auf seine Gewitztheit. Eine typische Eigenschaft des Anglers ist, dass er lange an einem Platz sitzen und schweigend auf das Wasser sehe kann. Wenn die Fische beißen sollen, darf man sie nicht stören. Einige Witze nehmen dieses Schweigen und tatenlos Herumsitzen auf's Korn. Auch Erfolg und Erfolglosigkeit beim Fischen werden thematisiert. Wie viele Witzinhalte sich um tiefgefrorene Fische drehen, die einen nicht gemachten Fang kaschieren sollen, weiß man nicht. Wenn ein Angler in ein Restaurant geht und den Koch bittet, ihm zwei Forellen herüberzuwerfen, ist Misstrauen berechtigt. Dann nämlich will er Zuhause sagen können, er habe sie gefangen, obwohl das in Wahrheit nicht so ist. Der Witz besteht darin, dass der Schlaukopf sich die Fische zuwerfen lässt, damit er sie auffangen muss. Erklärungsbedürftig sollten Anglerwitze jedoch nicht sein. Wenn sie es sind, sind es Insiderwitze, die nur Leute vom Fach verstehen. Wenn es also um verschiedene Wurftechniken oder Köder geht, hat der Laie keine Ahnung. Im Allgemeinen ist er nur über die Grundprinzipien des Angelns informiert.

Persönlichkeit des Anglers

Oft geht es im Anglerwitz aber gar nicht um das Angeln, sondern um die Persönlichkeit des Anglers. Der gilt als so versessen auf das Angeln, dass nichts ihn davon wegholen kann - nicht einmal die Beerdigung der eigenen Ehefrau. So erzählt, ist das nicht witzig. Es kommt auch beim Anglerwitz darauf an, wie die Dramaturgie des Erzählverlaufs angelegt ist, bis am Ende diese Erkenntnis steht. Im Witz wird zunächst erzählerisch vom eigentlichen Witzinhalt abgelenkt, wenn ein Trauerzug sich an einem See vorbei bewegt und ein Angler aufsteht, salutiert und weiterangelt. Die Trauergesellschaft ist sehr mit sich selbst beschäftigt, aber den Pastor beschäftigt diese respektvolle Geste. Auf dem Rückweg von der Trauerfeier spricht er den Angler an, den er für einen pietätvollen Mann hält. Der sagt aber nur "Ja, wenn man dreißig Jahre verheiratet war, gehört sich das." Hier wird die Bedeutung des Angelns über die der Ehe oder des Todes gestellt. Ein wahres Körnchen ist an jedem Witz, denn witzig ist er, weil etwas Wahres dran ist. Es ist zum Klischee geworden, das allen Anglern übergestülpt wird. Die Behauptung, aus der so ein Witz konstruiert wird, lautet: Angeln ist dem Angler wichtiger als alles andere. Über solche Klischees kann man lachen, außer man ist Angler. Unter Anglern würde man sich kaum durch das Lesen von Büchern mit Anglerwitzen hervortun. Man nimmt den Angelsport bierernst. Aber über Fußballer-, Golfer- oder Kitesurfer-Witze könnte man sich schief lachen. Alles, was an die eigene Ehre rührt, ist heilig.

Länder mit ausgeprägten Anglerwitzen

Im Witz entsteht erzählerisch eine Klischeeperson mit einer Angel an der Hand. Damit ist das Szenario gegeben, in dem der Anglerwitz seinen Auftritt haben kann. Interessanterweise sind aber nicht in allen Ländern Anglerwitze zu finden, weil der Freizeit- und Hobbyangler nur in Gesellschaften zu finden ist, die nicht vom Angeln leben müssen. In den meisten indigenen Kulturen fängt man Fische um des Überlebens willen. Bei uns sind sie eher schmückendes Beiwerk, es sei denn man lebt an der Ostsee und es kommen gerade Heringsschwärme oder Dorsche in eine Bucht geschwommen. Beim Angeln geht es nicht nur um den Fang, sondern auch um das Naturerlebnis und den Genuss der Ruhe. Angeln gilt als entspannend. In Deutschland ist die Witzkultur besonders ausgeprägt, wie man von Wissenschaftlern erfährt. Man behauptet, die Deutschen haben keine Präferenzen, was den Witzinhalt angeht und lachen einfach über alles. In anderen Ländern tut man das nicht. Außerdem scheint es einen Zusammenhang zwischen der Zufriedenheit der Bevölkerung und dem Wunsch nach befreiendem Lachen zu geben. In diesem Sinne verkörpert auch der Anglerwitz ein Genre, das Entlastung von Stress und Frust anbietet. Witzsendungen und Witzbücher haben bei uns Hochkonjunktur. Aussagefähig ist aber auch, dass die USA als Land der Sitcoms und Stand-up-Comediens noch viel größeres Frustpotential zu haben scheinen. Dort begeistern sogar uralte Anglerwitze, wenn sie von einem berühmten Komiker nonchalant erzählt werden. Allerdings gilt: Witze mit Bart sind weniger witzig. Der Überraschungseffekt der Pointe ist weg. In den USA ist der typische Angler meist ein Fliegenfischer, der vom Ufer eines Sees oder Flusses aus auf Fischzug geht. Neben ihm stehen der Hochseenangler und der, der sich in der Wildnis Kanadas auf Lachsfang begibt. Bei uns ist das Klischee des Anglers mit dem Sitzen in einem Boot oder dem Stehen an einem Ufer verbunden. Am Inhalt des Anglerwitzes verändert sich aber trotz dieser speziellen Szenerien, Angelausrüstungen oder Angeltechniken nicht allzu viel. Hier wie dort angelt gelegentlich jemand einen Schuh oder einen anderen Bekleidungsgegenstand aus dem Gewässer. Kann sein, dass er dann zu seinem Angelkumpel sagt "Du, da unten wohnt einer!". Das kolportierte Klischee lautet, Angler seien nicht sehr intelligent.

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