Ostfriesenwitze

Wer ist Borwin Bandelow? Vor allen Dingen als Facharzt für Neurologie und Psychiatrie sowie als erfolgreicher Diplom-Psychologe und Psychotherapeut hat er sich einen Namen gemacht. Dies ist nicht verwunderlich, denn bereits als Schüler interessierte er sich besonders stark für menschliche Charaktereigenschaften, vor allen Dingen für diejenigen der Ostfriesen. So kam es dann auch, dass er in den sechziger Jahren als aktiver Artikelschreiber für die Schülerzeitung des Gymnasiums Westerstede, "Der Trompeter", die Ostfriesen ein wenig genauer ins Visier nahm und sie auf eine nicht ganz ernst zu nehmende Art und Weise beschrieb. Dies war die Geburtsstunde der Ostfriesenwitze. Und in der Tat, Borwin Bandelow ist mehr als nur Arzt. Er gilt als der Erfinder der seit mehr als 40 Jahren überaus beliebten und immer wieder gerne erzählten Ostfriesenwitze.


Ostfriesenwitze

Kein Ostfriesenwitz ohne das Ammerland

Entstanden sind diese besonderen Witze in einer Nachbarregion Ostfrieslands, dem Ammerland. Grund für ihre Entstehung ist ein oft zu beobachtendes Phänomen, nämlich die regionale Rivalität. So schauen Angehörige einer Region gerne mal auf ihre Nachbarn herab, indem sie ihnen bestimmte, oftmals negative Eigenschaften, Charakterzüge oder Verhaltensweisen zusprechen, die allerdings eher mit einem lachenden Auge betrachtet werden sollten.

Genauso verhält es sich auch mit den Ammerländern und den Ostfriesen. Geht es nach den Ammerländern, dann handelt es sich bei den Ostfriesen um ein äußerst originelles, nicht allzu intelligentes Volk, das allerdings im normalen Leben eine gewisse Bauernschläue an den Tag legt.

So wird den Ostfriesen nachgesagt, dass sie abends stets mit einem Stein und einer Taschenlampe zu Bett gehen. Den Stein benötigen sie, um das Licht auszumachen und mit der Taschenlampe schauen sie nach, ob es tatsächlich dunkel ist. Egal also, in welcher Situation sie stecken, Ostfriesen wissen sich immer zu helfen, selbst wenn die Art, mit der sie es tun, nicht immer sehr erfolgversprechend ist.

Zudem sind Ostfriesen äußerst träge und gemütliche Menschen, die sich durch nichts aus der Ruhe bringen lassen - schließlich gibt es in ihren Augen für jedes Problem eine Lösung. Wie diese aussieht, ist dabei jedoch vollkommen unerheblich.

Berühmte Ostfriesen

Wurden die Ostfriesenwitze anfangs nur regional erzählt, nämlich dort, wo sie entstanden sind, in Ammerland, erfreuten sie sich im Laufe der Zeit zunehmender Beliebtheit, die weit über die Grenzen der Region hinausging. Die Ostfriesen selbst verstanden es vortrefflich, ihre Region mit Hilfe der Witze, die über sie gemacht wurden, in den Blickpunkt der Öffentlichkeit zu rücken, so dass das Land sich zu einem touristisch äußerst attraktiven Anziehungspunkt entwickelte.

Deutsche Komiker, wie Karl Dall oder Otto Waalkes, beide in Emden, Ostfriesland, geboren, und demnach waschechte Ostfriesen, verdanken den Ostfriesenwitzen einen großen Teil ihres Erfolges. Denn sie nutzten die Popularität dieser Witze geschickt für ihre Karriere, indem sie sie verstärkt in ihr Bühnenrepertoire einbauten.

Aber auch rein äußerlich verkörpern die beiden bekannten Mimen den in den Witzen beschriebenen Ostfriesen sehr genau. Die Rolle des gutmütigen und etwas einfältigen norddeutschen Küstenbewohners ist ihnen schlicht und einfach auf den Leib geschrieben, und sie erfüllen das Klischee des typischen Ossis, wie der Ostfriese mitunter ebenfalls liebevoll genannt wird, sowohl psychisch als auch physisch in vollem Maße.

Struktur des typischen Ostfriesenwitzes

Was aber ist nun das Besondere an einem Ostfriesenwitz? Im Gegensatz zu einem herkömmlichen Witz besteht ein Ostfriesenwitz nicht aus einer kurzen Geschichte mit einer Pointe am Schluss. Es gibt zwei wesentliche Faktoren, die aus einem Witz einen Ostfriesenwitz machen, und zwar:

  • das Thema
  • der Aufbau

Thema des Witzes

Die grundsätzliche Thematik eines Ostfriesenwitzes ändert sich nie. Immer steht der ein wenig verschrobene Ostfriese im Mittelpunkt, der gewisse Verhaltensweisen an den Tag legt, die nicht wirklich gut nachzuvollziehen sind und demzufolge von den vermeintlich normalen Menschen belächelt werden.

Aufbau des Witzes

Ein Ostfriesenwitz ist quasi so gestrickt wie der Ostfriese selbst, nämlich ganz einfach und sehr trocken. Der Aufbau ist stets der Gleiche. Er besteht aus einer kurzen Frage, die sich auf das Typische bezieht, das den Ostfriesen ausmacht. Gefolgt wird diese Frage von einer etwas ausführlicheren Antwort, die die Pointe beinhaltet.

Ostfriesenwitze heute

Nach wie vor besitzen Ostfriesenwitze einen recht hohen Bekanntheitsgrad, selbst wenn sie ihre Blütezeit eher in den siebziger Jahren hatten. Egal ob jung oder alt, man kennt diese Witze einfach immer noch.

Ende der achtziger Jahre sind es allerdings nicht mehr die norddeutschen Küstenbewohner gewesen, die im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses standen. Bei den sogenannten Ossis handelte es sich plötzlich nicht mehr um die gängige Kurzform für die Ostfriesen, sondern um die Bezeichnung für diejenigen Menschen, die bis zur Wiedervereinigung ihr Leben auf der anderen Seite der Mauer, in der DDR, zugebracht hatten. Das nachbarschaftliche Gekabbel zwischen Ammerländern und Ostfriesen war vorbei. Statt dessen wandte sich der westdeutsche "Wessi" dem ostdeutschen "Ossi" zu, indem er ihn, getreu der ostfriesischen Vorlage, zur Witzfigur abstempelte.

Mit den Ossiwitzen hörte die Aera der Ostfriesenwitze jedoch nicht auf. Auch die Blondinenwitze, die danach in aller Munde waren, besitzen die gleiche Struktur wie die ursprünglichen Ostfriesenwitze. Dies lässt ganz klar den Schluss zu, dass Ostfriesenwitze die Wurzel sind für viele spätere Arten von Witzen, die die menschlichen Verhaltensweisen aufs Korn nehmen.

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